Gestern Abend in der ARD (1.10.) ein Film über die Odenwaldschule und danach eine Diskussionsrunde.
All das habe ich mir angesehen. Ich bin der Diskussionsrunde gefolgt und danach machte sich eine Betroffenheit breit, die ich nicht in Worte fassen konnte. Kenn ich doch dieses Thema selbst schon viel zu lange und auch die Reaktionen der Umwelt darauf.
Erstaunlich finde ich es immer wieder, wie Täter (so auch im Film) eine seltsame Wahrnehmung der Realität leben. Wie kommt so ein Täter auf den Gedanken, dass es einem Kind nicht wehtun würde, was er da mit ihm macht? Streicheleinheiten sind eine Sache. Gegen den Willen des Kindes allerdings eine ganz andere. Und wenn es dann soweit geht, dass der eigentliche Akt – sowohl mit Mädchen, als auch mit Jungen – auch noch durchgeführt wird und vor dem Täter ein weinendes Kind liegt, wie geht es ihm dann damit?
Welche seltsame Befriedigung empfindet er dabei? Wie ist es möglich, dass solche Menschen noch mit Achtung vor sich selbst abends in den Spiegel blicken können? Wie ist es möglich, dass sie die alltäglichen Interessen dieser Kinder in der Öffentlichkeit reflektieren und verteidigen? Und das noch so glaubwürdig, dass alle, die zuhören von der Ehrbarkeit überzeugt sind?
Wie sollte sich in einem solchen Umfeld auch nur ein Kind wirklich trauen, etwas zu sagen? Etwas von diesem unglaublichen Leid preisgeben? Wer würde ihm das noch glauben? Wer würde dieses seelische Drama wirklich realisieren, wenn auf der anderen Seite ein verdienter Ehrenmann steht und auch noch entsetzlich schockiert auf solche Anschuldigungen reagiert?
Und warum schweigen all die anderen? Warum schweigen andere Opfer? Können sie sich nicht als Verbündete zusammenschließen?
Warum übersehen Angehörige die Anzeichen? Sind sie wirklich so „undeutlich“ oder fällt es nur so unsagbar schwer, das wirklich zu glauben? Man will ja keinen Unschuldigen verdächtigen. Außerdem ist Rufmord ja strafbar. Und was Kinder sich so alles zusammenreimen, wenn sie nicht kriegen, was sie wollen, weiß man nun wirklich ziemlich genau.
Wenn es mal so einfach wäre.
Natürlich gehöre ich nicht zu den Opfern, die glauben: „Besser einen Unschuldigen zu viel verurteilt, als einen Täter frei rumlaufen lassen.“ Ich gehöre auch nicht zu denen, die meinen, nur Männer wären Täter. Ebenfalls bin ich nicht davon überzeugt, dass es keine Fälle von Verleumdung gibt.
Aber wenn über 100 Kinder solche Aussagen machen, verstehe ich nicht, wie eine solche Einrichtung überhaupt noch arbeiten darf. Ich verstehe nicht, warum nicht radikal durchgegriffen wird. Dabei sind Behörden in ähnlichen Situationen doch manchmal sehr schnell bereit, Konsequenzen zu ziehen.
Welche Interessen halten sie dann an diesen Stellen ab?
Wieso werden Täter nicht härter bestraft? Wieso werden diese Personen nicht zur Verantwortung gezogen? Wieso muss es erst wieder und wieder geschehen, damit jemand etwas unternimmt? Wie kann das alles 50 Jahre lang vertuscht werden?
Die wirkliche Schande ist allerdings diese Gesellschaft, die weder hinsehen noch hinhören will. Solche dunklen Flecken auf diesen wunderbar weißen Westen kann keiner zulassen.
Hat sich eigentlich mal einer dieser Verantwortlichen gefragt, wie er sich als Kind in einer solchen hoffnungslosen Situation fühlen würde? Wie hilflos, verloren und allein gelassen?
Ein jeder, der einen solchen Schmerz gefühlt hat, wird weder Behörden, noch Gerichte und noch weniger diese Gesellschaft verstehen. Und er würde – wenn er etwas zu sagen hätte – vermutlich viel härter durchgreifen.
Denn er würde eines erkennen:
Täter bekommen vielleicht nur Bewährung oder einige Jahre Gefängnis.
Opfer haben lebenslänglich.
© Cornelia G. Becker
Kinderseelen
Wenn Kinderseelen heimlich weinen…
Weil einer ihnen die Seele zerstört
Und keiner ihre Tränen hört
Weil es passiert ganz ungestört
Wenn Kinderseelen heimlich schreien…
Weil einer sie als Handelsware schätzt
Sie von einem zum anderen hetzt
Und ihre Seelen zutiefst verletzt
Wenn Kinderseelen heimlich sterben…
Und die Gesellschaft die Augen verschließt
Und mancher der Täter noch Achtung genießt
Und die Pornoindustrie sprießt und sprießt
Was soll dann aus unserer Welt noch werden
Wenn die Vertrauenspersonen oft Täter sind
Und die Hilfeschreie verhallen im Wind
Und keiner glaubt diesem gepeinigten Kind
© Cornelia G. Becker