Es war die Sehnsucht, die eines Tages laut und lauter an ihre Türen klopfte.
Einsam stand sie draußen in der Kälte und drohte zu erfrieren.
Schutzlos dem Wind des Lebens ausgesetzt, suchte sie nach einem wärmenden Platz und hoffte, dass sich ein Herz erbarmen und sie einlassen würde.
Die Sehnsucht hatte schon an vielen Türen geklopft. Doch die Menschen hatten keine Zeit für sie. Sie waren zu sehr mit ihrem Alltag beschäftigt und konnten sie nicht hören. In ihren Häusern war so viel Musik und Lärm, das leise Klopfen an der Tür wurde gar nicht mehr wahrgenommen.
So wanderte die Sehnsucht traurig und einsam von einer Tür zur nächsten.
Weit entfernt von der Geschäftigkeit des Lebens und dem Licht der Städte fand sie ein kleines Häuschen am Waldrand.
Ein alter Mann hatte sich nach seiner Arbeitszeit dorthin zurückgezogen. Seine Frau war verstorben, und die Kinder hatten ihre eigenen Familien. Er hatte sich einen Teil seiner Sehnsucht erfüllt und zog in diese Gegend, um sich von der Welt auszuruhen und den Bäumen und den Vögeln zu lauschen.
Die Sehnsucht beobachtete diesen Mann über einige Tage. Er ging immer wieder in den Wald. Manchmal pfiff er mit den Vögeln, manchmal sprach er mit den Bäumen. Wenn er sich einsam fühlte, umarmte er sie auch. Er hörte dem Wald und seinen Lebewesen zu und immer überkam ihn eine tiefe Sehnsucht. Aber er konnte sie nicht wirklich wahrnehmen oder beschreiben.
Nach einigen Tagen dachte sich die Sehnsucht: "Hier werde ich sicher ein warmes Plätzchen am Feuer finden."
Sie nahm all ihren Mut zusammen und klopfte erneut an eine Tür. Nach all den Enttäuschungen, kostete sie das sehr viel Kraft und Mut. Fast hatte sie schon die Hoffnung aufgegeben. Manchmal hatte sie davon geträumt, in der Kälte erfrieren zu müssen. Auch dieses Mal war sie sich nicht sicher.
Und dann geschah es. Die Tür öffnete sich, und der alte Mann sah sie mit leuchtenden Augen an. Er fragte, wer sie sei und ob sie hereinkommen wollte, um sich aufzuwärmen. Nachdem er ihr einen Platz am Kamin angeboten hatte, ging er in die Küche und bereitete Tee und einen Imbiss vor. Nach der langen Wanderung musste die Sehnsucht sicher sehr hungrig und durstig sein. Er wollte ihr etwas Gutes tun und ihr sein Herz öffnen und ihr seine Liebe schenken.
Nachdem die Sehnsucht etwas gegessen hatte und ihren Durst etwas gestillt hatte, fragte der alte Mann, wie es ihr den so ergangen sei.
Mit einem traurigen Gesicht und Tränen in den Augen kuschelte sich die Sehnsucht noch tiefer in die Decke und begann zu erzählen. Der alte Mann hörte sehr aufmerksam zu.
Im Laufe der Jahre erzählte ihm die Sehnsucht sehr viele unterschiedliche Geschichten und jedes Mal weinte der alte Mann. Oft schaute er sie nachdenklich an.
Manchmal gingen sie im Wald spazieren und er berichtete von seinem Leben. Die Sehnsucht begleitete ihn auf seinem Weg und hörte ihm interessiert zu.
So gingen noch viele Jahre ins Land.
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Version 1
Eines Tages ging es dem alten Mann sehr schlecht. Er wollte gar nicht aufstehen und bat die Sehnsucht an sein Bett.
Er erzählte ihr von seinen Träumen und Hoffnungen. Er berichtete, welche wichtigen Entscheidungen es in seinem Leben gab und warum er diese Träume nicht ausleben konnte. Tränen standen in seinen Augen, und er wünschte sich an den Anfang seines Lebens zurück. Sicher würde er dieses Mal alles besser machen und sein Leben so leben, wie er es immer gewollte hatte.
Traurig und verzweifelt erkannte er, dass es kein Zurück geben würde. Voller Hoffnung klammerte er sich an den letzten Atemzug und musste doch die Welt verlassen.
Und die Sehnsucht begann zu weinen und zog weiter durch die Kälte auf der Suche nach einem warmen Platz im Herzen eines Menschen.
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Version 2
Dann kam der Tag, an dem es dem alten Mann sehr schlecht ging und er morgens gar nicht aufstehen wollte. Er bat die Sehnsucht, sich zu ihm zu setzen und dann erzählte er von seinen Träumen und Hoffnungen. Er erzählte, warum sie nicht war werden konnten. Er berichtete von den vielen wichtigen Entscheidungen. Er erklärte, warum das Leben so war, wie es war und was seine wahre Sehnsucht gewesen ist.
Mit dieser Erkenntnis schlief er mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht für immer ein.
Und die Sehnsucht fühlte die Dankbarkeit und Glückseligkeit und wanderte zufrieden weiter.
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Mit welcher Geschichte würde Dein Leben enden?
Welche Sehnsucht klopft an Deine Herzenstür?
Was hindert Dich daran, sie zu leben?
Sehnsucht
Es ist eine Sehnsucht, die Dich durchs Leben trägt.
Erkenne und lebe sie, es ist schnell zu spät.
Sie ist schon immer da und ruft nach Dir.
Nimm sie endlich wahr und ergib Dich ihr.
Sie bringt Dich zu Dir und Deinem wahren Ich.
Und zeigt Dir liebevoll einen Weg ins Licht.
© Cornelia G. Becker