Etwas, das anders ist,
als wir es kennen, macht uns erst einmal Angst. Doch bietet es auch eine
Unmenge wunderbarer Chancen.
Aber wie stellen wir
uns dieser Angst?
Wir verdammen, was wir nicht kennen. Wir urteilen über etwas,
von dem wir eigentlich fast gar nichts wissen. Wir bilden uns eine Meinung aus
unserer Sicht, mit unserer verzerrenden Brille und unserer ganz persönlichen
Lebenseinstellung – von der wir auch noch glauben, dass es die einzig richtig
ist und für alle gelten sollte.
Wir stellen uns dieser
Angst, in dem wir fordern, dass doch am besten alles so bleiben soll, wie es
schon immer war. Unsere vorgegebene hohe Toleranzgrenze sinkt dann plötzlich
auf eine Schwelle, die beim genaueren Hinsehen einfach nur traurig machen kann.
Doch das merken wir nicht einmal.
Nehmen wir das Beispiel
Flüchtlinge.
Was für ein Thema in
dieser Vorweihnachtszeit? Was für eine unglaubliche Chance zur Heilung verbirgt
sich dahinter? Das könnte ja mit einem Mal die ganze Welt und vor allem die
eigene Sichtweise total verändern, wenn wir es nur so sehen könnten oder
wollten.
Ich habe mir dazu mal
Gedanken gemacht und plötzlich waren viele Fragen da, die mich irritierten und
beschämten.
Wieviel Mut gehört
eigentlich wirklich dazu, seine Heimat zu verlassen und in einem fremden Land
unter fremden Menschen ganz von vorne zu beginnen?
Wieviel Verzweiflung
fühlt ein Mensch, dass er diesen Schritt wirklich wagt?
Was bedeutet es, mit
nichts als den Kleidern auf der Haut aufzubrechen und sein eigenes Leben zu
riskieren für eine ungewisse Zukunft?
Wie fühlt sich jemand,
wenn er mit diesem Überfluss und dieser Wegwerfgesellschaft konfrontiert wird
und in seiner Heimat unter Hunger und Durst leiden musste?
Wie schwer ist es für
diesen Menschen, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein und als Bettler
dazustehen?
Wie fühlt sich ein
Mensch mit dieser Vergangenheit, wenn er über einen unserer Weihnachtsmärkte geht
und sieht, wie Essen in einem Mülleimer landet?
Was denkt er wohl, wenn
er erlebt, wie wir hier mit Weihnachten umgehen (Bemerkung am Rande: Nicht alle
Flüchtlinge sind Muslime)?
Wie würde ich mich an
seiner Stelle fühlen?
Das mögen für manche
Menschen wirklich unsinnige Fragen sein und sie haben vielleicht auch schnell
eine Antwort parat.
Mich haben diese Fragen
sehr betroffen gemacht, denn ich konnte sie nicht beantworten. Meine einzigen
Reaktionen waren Tränen in den Augen und eine seltsam hilflose Betroffenheit.
Ich konnte mich sehr
gut daran erinnern, dass ich einmal sagte, dass mir vier Wände, ein Dach über
dem Kopf und jemanden, der mich wirklich liebt schon reichen würden. Doch mit
vier Wänden und einem Dach über dem Kopf meinte ich auch fließendes Wasser und
natürlich eine Toilette und so manche anderen Annehmlichkeiten. Das sah mein
Gesprächspartner allerdings ganz anders. Woher sollte ich auch wissen, dass ihm
das, was ich als selbstverständlich ansah einmal für eine lange Zeit gefehlt
hat? Ich war über meine Art zu denken tatsächlich schockiert und merkte
plötzlich, dass nichts wirklich selbstverständlich ist.
Wie verzweifelt muss
jemand sein, dem alles genommen wird? Und ich meine wirklich alles, sodass ihm
nur noch die Kleider auf seiner Haut bleiben? Was geht in einem solchen
Menschen wirklich vor? Auch darüber habe ich nachgedacht und gemerkt, dass ich
mir das zwar sehr gut ausmalen kann, aber wie ich mich fühlen würde, wenn ich
es wirklich erleben würde, dass wusste ich immer noch nicht.
Dann kam ein Tag in
meinem Leben, da war meine eigene Verzweiflung so groß, dass ich wirklich alles
hinter mir ließ und an einem anderen Ort ganz von vorne begann – ohne eine Bett
oder irgendwelche Möbel ohne Arbeit und mit wenig Geld. Das war eine sehr interessante
Lebenserfahrung und hat mir vieles bewusster gemacht. Es gehört Mut dazu, einen
solchen Schritt überhaupt zu wagen. In unserer Gesellschaft bedeutet es
außerdem, dass ich mit Meinungen und Ansichten konfrontiert wurde, die ich
vorher nicht so ernst genommen hatte. Es gab nur sehr wenige, die mir geholfen
haben und die meisten haben mich für verrückt erklärt.
Ich bin kein Flüchtling
und ich weiß nicht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich einer wäre. Ich kann
mir nicht einmal vorstellen, in meiner Heimat mit dieser unglaublichen Angst
konfrontiert zu sein. Ich weiß auch nicht wirklich, wie ich mich fühlen würde,
wenn ich darauf angewiesen wäre, dass mir andere helfen oder ich um Hilfe bitten
müsste.
An eines kann ich mich
allerdings noch sehr gut erinnern: Ich hatte nicht den Mut dazu, meine Heimat
zu verlassen und in ein anderes Land zu gehen, als ich danach gefragt wurde.
Und das war keines der Dritten-Welt-Länder und ich wäre auch nicht allein
gewesen. Aber ich habe es dennoch nicht gewagt. Ich hatte unglaublich viele
Gründe, es nicht zu tun. Alle waren vernünftig und plausibel. Was ich mir zu
diesem Zeitpunkt nicht eingestehen konnte war: Es machte mir einfach Angst, in
eine ungewisse Zukunft aufzubrechen.
Wir reden hier oft über
Toleranz und Anpassung. Was bedeutet das wirklich? Wir möchten, dass unsere
Welt so bleibt, wie sie ist, weil wir Angst vor Veränderungen haben. Deshalb
möchten wir, dass sich andere an unsere Regeln anpassen und so funktionieren,
wie wir es kennen. Doch Toleranz beginnt bei uns selbst. Toleranz beginnt
damit, etwas, dass ich nicht kennen, nicht gleich zu be- und verurteilen,
sondern es erst einmal kennenzulernen und zu versuchen, es zu verstehen.
Toleranz beginnt nicht mit Forderungen, sondern mit einer Hand, die ich einem
Menschen reiche, der anders lebt und denkt als ich.
Außergewöhnliche
Situationen beinhalten unglaublich viele Chancen. Darin sieht vielleicht jeder
etwas anderes.
Ich sehe darin die Chance,
etwas zu heilen und auszugleichen, meine Sichtweise zu korrigieren und mich zu
hinterfragen. Die Chance darüber nachzudenken, wie ich mich fühlen würde und ob
ich diesen Mut überhaupt hätte.
Was hindert uns daran,
eine dieser Familien zu unserem Weihnachtsfest einzuladen und ein gemeinsames
Fest zu gestalten? Was hindert uns daran, die Bereitschaft zu zeigen,
Sprachbarrieren zu überwinden, den anderen kennenzulernen und zu teilen? Was
hindert uns daran, dies an jedem anderen Tag auch zu tun und nicht nur zu
Weihnachten? Was können wir dabei wirklich verlieren? Um wieviel reicher würde
uns das vielleicht machen?
Was habe ich vor
einiger Zeit in einem Film gehört: „Von innen sind wir alle gleich.“
In diesem Sinne wünsche
ich allen eine besinnliche und
glückliche Weihnachtszeit.
veröffentlicht in Huffington Post Deutschland
© Cornelia G. Becker
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