Das letzte Weihnachtsfest


Was schenkt man jemanden zum Weihnachtsfest, der sterben wird und vermutlich das nächste Jahr nicht mehr überleben wird?
Was schenkt man jemandem zu Weihnachten, von dem man genau weiß, dass es seine letzten Weihnachten sein werden?

Sie kannte diese Gefühle sehr genau. Das hatte sie mit ihrem Vater erlebt und im letzten Jahr mit ihrer Freundin.
Was schenkt man einem Menschen, den man liebt, von dem man weiß, er würde dieses Geschenk gar nicht mehr wirklich nutzen können.
Sie erinnerte sich an das letzte Jahr und an ihre Freundin.
Man schenkt ihm Zeit und Verständnis. Man hört ihr zu und genießt die wenigen Monate, Tage oder Stunden, die einem noch bleiben.
Man erinnert sich vielleicht an gemeinsame schöne Zeiten.
Man lässt Gefühle zu. Die eigenen und die des anderen.
Man spürt die Trauer und vielleicht die Angst vor dem Sterben.
Man fühlt mit. Das heißt nicht mitleiden. Mitfühlen, Tränen zu lassen, ist etwas anderes als Mitleid.
Man ist einfach für den anderen da. Erleichtert ihm den Weg auf die andere Seite. Wenn nicht mit Taten, dann wenigstens mit liebevollen Gedanken.
Man geht mit ihr gemeinsam und hilft ihr zu akzeptieren was ist. Vielleicht ist es ja auch eine Erleichterung für diejenige. Vielleicht will sie ja dieses Leben so wirklich nicht mehr leben. Vielleicht kann sie es gar nicht mehr, hat keine Kraft mehr. Vielleicht hat sie nur Angst vor der anderen Seite.
Man könnte ihr ja auch vermitteln, dass die andere Seite nur eine andere Form von Existenz ist, frei von Schmerzen und Leid. Freiheit und ganz neue Möglichkeiten.
Mit welchem Frieden könnte sie dann vielleicht einschlafen und auf die andere Seite gehen.

Vielleicht sind wir es ja, die das nicht zulassen wollen. Vielleicht haben wir Angst vor dem Leid und der Trauer, die uns dann überfällt, wenn der geliebte Mensch nicht mehr in unserem Leben ist. Vielleicht halten wir ihn deshalb so fest und er spürt es und will uns nicht allein lassen. Er weiß aber auch, dass er nicht bleiben kann. Vielleicht müssen wir lernen, ihn einfach liebevoll aus seinem Leben zu entlassen, damit er in Frieden gehen kann.

Sie dachte an ihren Vater und wie lange die ganze Familie ihn festgehalten hatte. Sie dachte daran, wie er wohl nach seinem Tod noch jahrelang irgendwo herumirrte, weil die Familie ihn nicht ankommen ließ. Aber sie konnten ihn doch auch nicht mehr zurückholen. Sie würden ihm so nur das Ankommen auf der anderen Seite schwer machen.
Das wollte sie eigentlich nicht wirklich. Und doch hatte sie ihren Vater noch 2 Jahre in ihrem Leben gefangen gehalten.
Sie dachte an ihre Freundin, die mit einem Lächeln auf dem Gesicht ganz friedlich eingeschlafen war. War sie wirklich so friedlich eingeschlafen?
Konnte sie während ihres Sterbens sehen, was da auf der anderen Seite auf sie wartete?
Konnte sie fühlen, dass es dort viel leichter sein würde?
Konnte sie deswegen so friedlich einschlafen?
Spürte sie im Sterben diese allumfassende Liebe?
Konnte sie dieses Licht sehen?

Die Auseinandersetzung mit dem Tod muss nicht mit Angst und Wut und Schmerz verbunden sein. Das Ankommen auf der anderen Seite kann ebenso von Liebe und Licht erfüllt sein. Wenn wir es einfach nur erkennen und annehmen können, dann finden wir Frieden und können loslassen.


Was für ein schöner Gedanke.

© Cornelia G. Becker

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